Trucks

Henrik Engdahl
2022-11-25
Elektromobilität
Author
Henrik Engdahl
Customer Charging Manager

Wie elektrisch angetriebene Langstrecken-Lkw schon jetzt einen Grossteil des heutigen Transportbedarfs bewältigen können

Angesichts ihrer derzeit eingeschränkten Reichweite werden elektrisch angetriebene Lkw von vielen vorschnell als untauglich für längere Strecken abgetan. Und doch legen rund 45 Prozent der Waren, die heutzutage in Europa befördert werden, kürzere Strecken zurück, was den Schluss nahelegt, dass elektrisch angetriebene Langstrecken-Lkw wesentlich mehr leisten können, als vielen bewusst ist.


Die etwaige Skepsis gegenüber der Nutzung elektrisch angetriebener Lkw auf Langstrecken scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar. Ein Lkw, der bis zu 600 Kilometer pro Tag zurücklegt, lässt sich nicht ohne Weiteres durch ein Fahrzeug ersetzen, dessen Reichweite maximal 300 Kilometer beträgt, so die Überlegung. Bei genauerer Betrachtung heutiger Logistiknetze zeigt sich jedoch, dass es schon jetzt zahlreiche Möglichkeiten für den Einsatz elektrisch angetriebener Lkw auf längeren Strecken gibt – unter Verwendung aktueller Technologien.

 

Warum die Reichweite von E-Trucks möglicherweise grösser ist, als Sie denken

Laut einer Statistik von Eurostat legen rund 45 Prozent aller auf europäischen Strassen beförderten Waren weniger als 300 Kilometer zurück. Das legt den Schluss nahe, dass es mit einer smarten Routen- und Zeitplanung möglich ist, einen Grossteil dieser Waren mit elektrisch angetriebenen Lkw zu transportieren.      Von Volvo Trucks durchgeführte Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass 45 Prozent der Lkw, die in Europa verkehren, weniger als 350 Kilometer pro Tag zurücklegen. Im internationalen Verkehr legen 33 Prozent der Lkw pro Tag 500 Kilometer oder weniger zurück.
 

„Ein Grossteil des Transports auf Strecken mittlerer Länge lässt sich schon heute mit E-Trucks bewältigen“, so Anders Grauers, Dozent für Hybrid- und Elektrofahrzeugsysteme an der Technischen Hochschule Chalmers. „Im Fernverkehr, der die höchsten Anforderungen mit sich bringt, ist man noch nicht so weit, was vor allem am Fehlen von öffentlicher Ladeinfrastruktur und daran liegt, dass die Batterien etwas zu klein sind und die Ladeleistung der Fahrzeuge etwas zu gering ist. Trotzdem steht praktisch fest, dass der elektrische Lkw für den Fernverkehr kommt, weil das die kostengünstigste Lösung sein wird. Schliesslich ist Strom deutlich billiger als Diesel.“

 

Mehr Reichweite durch sorgfältig geplante Ladevorgänge

Der Schlüssel zur Vergrösserung der Reichweite von E-Trucks über das 300-Kilometer-Limit hinaus besteht darin, vorhandene Lademöglichkeiten bei der Zeit- und Routenplanung des Fahrzeugs zu berücksichtigen. Eine strategisch platzierte Ladestation – idealerweise an einem Ort und zu einem Zeitpunkt, an dem das Fahrzeug sowieso anhalten muss – hat erheblichen Einfluss auf die Reichweite eines Lkw.
 

„In Europa gilt die Vorschrift, dass Lkw-Fahrer nach spätestens viereinhalb Stunden eine Pause einlegen müssen. Tatsächlich machen die meisten sogar schon nach drei bis vier Stunden Pause. Da die in dieser Zeit zurückgelegte Strecke weniger als 300 Kilometer beträgt, bietet sich hier eine durchaus wirkungsvolle Möglichkeit, den Lkw während der Ruhezeit aufzuladen und so die Reichweite des Fahrzeugs zu vergrössern, ohne die Schichtzeit zu verlängern“, so Henrik Engdahl, Business Development Director, Volvo Trucks.
 

Die praktikabelsten Aufgaben für elektrisch angetriebene Langstrecken-Lkw werden zunächst solche mit wiederkehrenden Streckenverläufen sein, damit die Fahrzeuge immer an denselben Stationen Halt machen können. So nutzt DHL Freight in Schweden derzeit zwei strategisch positionierte Ladestationen für E-Trucks, mit denen Waren zwischen Göteborg und Jönköping befördert werden. Die Strecke hat eine Länge von 150 Kilometern und die Fahrzeuge, deren Gesamtzuggewicht bis zu 60 Tonnen beträgt, legen täglich 450 Kilometer zurück.
 

Ebenfalls in Schweden wird eine neue öffentliche Ladestation für schwere Lkw, die derzeit in der Volvo Trucks Niederlassung Helsingborg errichtet wird, elektrisch angetriebene Lkw in die Lage versetzen, zwei Touren zwischen Göteborg und Malmö zu absolvieren – eine Distanz von 270 Kilometern. Auf der beabsichtigten Strecke kann ein Lkw mit vollgeladenen Batterien vom Hafen in Göteborg nach Malmö fahren und dort seinen Auflieger abliefern. Danach hat er immer noch genug Energie, um die Ladestation in Helsingborg (nördlich von Malmö und auf dem Weg zurück nach Göteborg) zu erreichen. Der Ladevorgang wird 90 Minuten dauern und entspricht damit der Ruhezeit des Lkw-Fahrers. Erst dann kann die Fahrt zurück nach Göteborg angetreten werden. All dies – einschliesslich der Ruhepause des Lkw-Fahrers – lässt sich innerhalb einer achtstündigen Schicht bewerkstelligen. Danach übernimmt ein zweiter Fahrer das Fahrzeug und fährt noch am selben Tag eine weitere Tour.
 

„Lkw, die nur nachts geladen werden können, sind auf einen Einsatzradius von 120 Kilometer rund um das Heimatdepot beschränkt, damit genug Reserve für die sichere Rückkehr bleibt, bevor die Batterie leer ist“, erklärt Henrik Engdahl. „Doch schon mit dem Zugang zu einer einzigen zusätzlichen Ladestation kann man sein Einsatzgebiet deutlich vergrössern und noch weiter fahren.“

Ein Grossteil des Transports auf Strecken mittlerer Länge lässt sich schon heute mit E-Trucks bewältigen. Steht praktisch fest, dass der elektrische Lkw für den Fernverkehr kommt, weil das die kostengünstigste Lösung sein wird.

Mehr Ladestationen, mehr Möglichkeiten zur Reichweitenoptimierung

Zahlreiche Länder haben bereits erhebliche Investitionen getätigt, damit der Ausbau öffentlicher Ladestationen für elektrisch angetriebene Langstrecken-Lkw in den kommenden Jahren rasch vorangeht. Beispiel Deutschland: Dort werden im Rahmen des Projekts HoLa an vier Punkten auf der Autobahn A2 zwischen Berlin und dem Ruhrgebiet neue Ladestationen für schwere Lkw errichtet.
 

In Schweden finanziert der Staat derzeit den Bau von  mehr als 100 Ladestationen für schwere Lkw. Die Fertigstellung ist für 2023 geplant. Nach seiner Fertigstellung wird das geplante Netz den landesweiten Einsatz elektrisch angetriebener Lkw ermöglichen.
 

Was längerfristige Zeiträume betrifft, gehört Volvo Trucks einem Jointventure an, das die Errichtung und den Betrieb von mindestens 1.700 Ladestationen in der Nähe von Fernstraßen und Logistikdrehscheiben in ganz Europa beabsichtigt. Der europäische Automobilherstellerverband ACEA (European Automobile Manufacturers’ Association) hat die GPS-Koordinaten von etwa 400.000 Lkw, die in ganz Europa verkehren, zusammengetragen und ausgewertet und dabei mehr als 40.000 geeignete Standorte für Ladestationen identifiziert, deren Errichtung den Aufbau eines EU-weiten Netzwerks vorantreiben würde.
 

Mit jeder Inbetriebnahme einer neuen Ladestation nehmen die Möglichkeiten zur Nutzung bereits im Einsatz befindlicher E-Trucks exponentiell zu. Man geht davon aus, dass die Kapazität der Batterien und die Reichweite der Fahrzeuge in den kommenden Jahren ebenfalls zunehmen werden, doch selbst mit den schon jetzt verfügbaren Technologien ist das Potenzial in Ländern, in denen in öffentliche Ladeinfrastruktur investiert wird, weitaus größer, als manch einer denkt.
 

„Was die Kosten je Kilometer betrifft, ist es günstiger, einen E-Truck zu laden, als Kraftstoff für einen Diesel-Lkw zu kaufen“, so Anders Grauers. „In der Regel kostet Strom nur etwa ein Viertel so viel wie Diesel. Selbst wenn sich der Strompreis verdoppeln würde, wäre Strom immer noch billiger als Diesel. Folglich ist ein E-Truck umso rentabler, je mehr er bewegt wird, weshalb man als Erstes diejenigen Fahrzeuge auf Elektroantrieb umstellen sollte, die viel bewegt werden.“
 

Hören Sie sich an, was Dozent Anders Grauers sonst noch zu sagen hat und wie er die Zukunft elektrisch angetriebener Lkw und des Fernverkehrs sieht:

●      In welchen Langstreckensegmenten die Elektrifizierung als Erstes Einzug halten wird.

●      Warum es unwahrscheinlich ist, dass steigende Strompreise den Umstieg auf E-Mobilität verzögern werden.

●      Warum die öffentliche Ladeinfrastruktur für elektrisch angetriebene Lkw so wichtig sein wird.

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